Die Stadtgrabenbouler von Wolfenbüttel

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Viele Wolfenbütteler werden uns sicher schon gesehen haben. Am Stadtgraben, direkt unterhalb des neuen „Alten Kaffeehaus“, wird seit 2003 jeden Sonntagmorgen Boules gespielt. Gemäß den Vorbildern im südlichen Frankreich treffen wir uns hier um 11:00 Uhr in lockerer Runde, um mittels Werfen von Stahlkugeln in Richtung einer kleinen Holzkugel, genannt „cochonet“, auf deutsch übersetzt „kleines Schweinchen“, die Siegermannschaft zu ermitteln. Wir kommen dann mit unserem kleinen Köfferchen, in dem sich zumindest drei Stahlkugeln befinden. Besser ausgestattet können sich darin auch bis zu sechs Stahlkugeln befinden und eben die besagte kleine Zielkugel. Des weiteren reichlich Zubehör, wie z.B. Maßband zum Messen der Abstände, Magneten zum Aufheben der Kugel, Zähler auch pointeur genannt, Handschuhe zum Werfen der Kugeln, Tücher zum Abputzen der Kugeln und natürlich reichlich Wasser. Eigentlich soll zu diesem Spiel Rotwein und Pastis gereicht werden, da wir uns aber in Deutschland befinden, wird das als Doping gewertet und seit geraumer Zeit nicht mehr zugelassen, sei denn, es gibt einen besonderen Anlass dazu und Anlässe finden wir immer wieder aufs Neue. Zum Beispiel unser 5-jähriges und 10-jähriges Boulesfest, zu dem wir alle Wolfenbütteler eingeladen hatten, um den Bekanntheitsgrad des Spieles zu erhöhen.


Wir sind soweit, wenn wir uns alle begrüßt haben, dass die Teams, die gegeneinander antreten sollen, ermittelt werden können. Die Stadtgrabenbouler von Wolfenbüttel bilden hierzu eine lange Reihe und einer wirft zunächst eine kleine Zielkugel. Spätestens jetzt sollte jeder Boulespieler eine seiner Stahlkugeln parat haben, um sie gemeinsam mit den anderen auf Kommando: „eins, zwei, drei“ oder auch „un, deux, trois“ in Richtung cochonet zu werfen. Die Anzahl der anwesenden Spieler bestimmt die Aufteilung in Gruppen, aus denen wiederum zwei Teams ermittelt werden müssen Ein Team besteht in der Regel aus zwei =Doublette oder drei =Tripplette Spielern, die nun gegeneinander antreten müssen.

Im gesamten Spiel befinden sich 12 Kugeln, pro Team sechs Kugeln. Erreicht werden muss die Punktezahl 13, die in mindestens drei Aufnahmen erreicht werden können, zweimal sechs Punkte, d.h. sechs Kugeln einer Mannschaft liegen pro Aufnahme am nächsten an der Holzkugel, dann entscheidet in der dritten Runde der Gnadenwurf, also nur noch eine Kugel muß nun näher sein als die anderen. Dies ist aber bei den Stadtgrabenbouler noch nie vorgekommen, da sogar Profispieler aus Braunschweig und Salzgitter und Stadtmeister aus Wolfenbüttel und Braunschweig, die manchmal mitspielen, auch ihre Schwächen haben und ausgetrickst werden können. Es ist eben auch ein Spiel der Strategie und des Zusammenspiels mit Profis und Laienspielern, den Lernenden

Nun nähern wir uns dem eigentlichen Spiel, denn die Teams sind inzwischen ermittelt. Die erste Aufnahme beginnt, ein/e Teamspieler/in =Leger/in wirft nun die kleine Holzkugel und gleich darauf eine Stahlkugel hinter her. Diese sollte nun im Idealfall direkt an der Zielkugel sich befinden. Die Art und Weise des Wurfes bestimmt die Bodenbeschaffenheit. Die Kugel kann im Stehen, in der Hocke, im Bogen oder gerollt werden. 
 
Wie, das bekommt man meist nach mehreren Würfen heraus. Beide Füße sollten aber innerhalb des Kreises (wird vor dem Wurf auf dem Boden gemalt und bestimmt die Abwurfstelle für diese Aufnahme) stehen und die Kugel sollte aus der Faust heraus gespielt werden, wobei die Kugel nach unten zeigt. Der Spieler des anderen Teams muss nun die Kugel weg schießen oder touchieren um seine Kugel besser zu platzieren. Dies macht in der Regel derjenige, der am besten schießen kann. Hat er es nicht geschafft muss er noch einmal oder ein anderer seines Teams, so lange bis eine Kugel besser platziert ist.

 Dann kommt wieder die andere Mannschaft dran. Ob der Leger oder der Schiesser eines Teams dran ist bestimmt die Konstellation der geworfenen Kugeln, die Aufnahme endet, wenn alle 12 Kugeln geworfen sind. Nun werden die Kugeln einer Mannschaft gezählt, die am nächsten am cochonet sind. Es können wie gesagt ein bis höchstens sechs Punkte sein, dann folgt die nächste Aufnahme. Gespielt wird bis zur Punktezahl 13, die ein Team erreicht haben muss, um als Sieger hervor zu gehen. Meist wird nun eine Revanche gefordert und gespielt. Danach kann bei patt noch um den Tagessieger gespielt werden, oder aber, weil einige pünktlich zum Mittagessen zu Hause sein müssen und das Spielfeld verlassen, werden die Gruppen und Teams neu gemischt. Dies kann auch schon einmal während eines noch andauernden Spieles passieren, dann tritt auch mal eine Tripplette gegen eine Doublette an. Das Doublette mit drei Kugeln, das Tripplette mit zwei Kugeln. Dies kommt auch vor, wenn die Anzahl der anwesenden Mitspieler nicht aufgeht. Es gibt auch noch weiter Variationen. Spannend sind die Spiele meist. Es gibt auch immer etwas zu lachen, wenn die geworfene Kugel, auf so wundersame Weise, auf ein vorher garantiert unsichtbares Steinchen trifft oder über das Ziel hinaus hüpft, welches besonders beim Schießen oftmals der Fall ist. Da bei uns auch handicap -person willkommen sind, kann auch mal die eine oder andere Malesche beim Abwurf einen Streich spielen. Man sollte das alles nicht so verbissen sehen. Die Profis kommen auch so auf ihre Kosten, denn sie haben eine weiter Trainingsmöglichkeit und die anderen etwas zu lachen und den Spott der anderen zu ertragen. Dumme Sprüche sind zwar nicht erlaubt, kommen aber auch immer wieder vor und wenn nicht von den Spielern selbst, dann eben von den Zuschauern. Viele von den Stadtgraben Spaziergängern schauen eine Weile zu, lassen sich von uns das Spiel erklären, sie oder wir erklären ihren Kindern das Spiel und so sind wir mittlerweile für einige zum Stadtgraben Bestandteil am Sonntag geworden. Ein Ziel für Spaziergänger, die eine Zeitlang zuschauen, um dann weiter zu marschieren. Kinder die fragen und Antworten bekommen. Sogar die Hunde finden es meistens spannend, wenn wir die Kugeln werfen und bedauern es nicht mitspielen zu dürfen. Der Hund gibt es meist aber von alleine auf, wenn er an einer Stahlkugel geschnuppert hat. Irgendwie ist dies kein Ball für ihn, soviel bekommt er mit. Viel Luft dabei gibt es gratis, Bewegung ist auch im Spiel. Jeder halt so gut er noch kann und anschließend kann am Sonntag Nachmittag ja immer noch den vielen anderen Verpflichtungen nachgegangen werden, je nach Geldbeutel oder Gelegenheit. Auch die Corona-Zwangspause hat das Spiel überdauert.

Text: Christiana Fulde

Zuletzt geändert am: 28.07.2015 um 12:11, Aktualisiert am 13.09.2021

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